Wer Übergewicht verdammt, erreicht mitunter das Gegenteil:
Menschen mit Gewichtsproblemen ernähren sich dann umso schlechter.
Wer zu viel wiegt, findet reichlich gut gemeinte Ratschläge.
Unzählige Bücher, Magazine und Internetseiten widmen sich dem Kampf gegen die
vermeintlich überflüssigen Pfunde. Politiker und Mediziner warnen ebenfalls
gerne vor den Folgen von Übergewicht. Das Kalkül dahinter ist klar: Je
eindringlicher die Betroffenen an die negativen Konsequenzen erinnert werden,
desto eher ändern sie ihr Verhalten. Von wegen. Warnungen vor Übergewicht sind
vielleicht gut gemeint. Sie erreichen mitunter aber das Gegenteil.
Brenda Major von der Universität von Kalifornien in Santa
Barbara teilte für ihre Studie 91 Frauen in zwei Gruppen. Gruppe A bekam einen
Text, der die negativen Folgen von Übergewicht schilderte. Gruppe B las einen
Artikel über die negativen Folgen von Rauchen. Die Texte beschrieben, dass
Arbeitgeber ungern Bewerber einstellten, die Übergewicht hatten beziehungsweise
Zigaretten rauchten. Alle Freiwilligen sollten den Text zunächst aufmerksam
lesen und hinterher fünf Minuten lang über dessen Argumente referieren. Diesen
kurzen Vortrag zeichnete Major auf Video auf.
Im Anschluss sollten die Frauen kurz pausieren. Dazu führte
Major sie in ein Wartezimmer. Dort standen drei Schüsselchen auf einem Tisch.
Im ersten lagen die zuckerumhüllten Kaudragees Skittles, im zweiten die
Schokolinsen M&M’s, im dritten salzige Cracker. An der Wand hing ein
Flachbildschirm und spielte ein Video ab.
Zehn Minuten später holte Major alle Frauen wieder ab. Dann
nahm sie die Schüsselchen und kontrollierte, wie viel jede Frau gegessen hatte.
Das Ergebnis: Jene Frauen, die sich selbst als übergewichtig einschätzten,
naschten am meisten – wenn sie zuvor den Artikel über die negativen Folgen von
Übergewicht gelesen hatten. Im Schnitt konsumierten jene Frauen 80 Kalorien
mehr. Bei den Frauen ohne Gewichtsprobleme zeigten sich nach der Lektüre keine
signifikanten Unterschiede. (d.h. keine Unterschiede, die bedeutsam sind).
Der Artikel wollte vor Übergewicht warnen – und hatte bei
Frauen mit Gewichtsproblemen das Gegenteil erreicht. Sie hatten nach der
Lektüre umso mehr Snacks verzehrt. Aber wieso? Nach Ansicht von Brenda Major
wirken Warnungen mitunter paradox. Dann nämlich, wenn die Betroffenen sich
dadurch angegriffen, abgelehnt, diskriminiert fühlen. Ihr Selbstbild wird
bedroht, das Unwohlsein steigt, die Selbstdisziplin sinkt. Und dann spenden die
Kalorien Trost.
1. Welche Einstellung soll in dem vorliegenden Text
beeinflusst werden? Erläutern Sie dessen Merkmale und Komponenten!
2. Erklären Sie, welche Form der Verarbeitung (nach Petty
und Cacioppo) in diesem Experiment
induziert1 wurde?
3. Welche zusätzliche oder alternative Erklärung lässt sich
von dem „Elaboration-Likelihood-Model of persuasion“ ableiten, um das Ergebnis
dieser Studie zu verstehen?
4. Welche anderen Gründe können Sie dafür heranziehen, dass
die induzierte Einstellung sich nicht in dem Verhalten der Personen aus Gruppe
A zeigt?
1bewirken, hervorrufen, auslösen
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